Melissa ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Ihre Mutter ist Italienerin, der Vater Türke. Seit zwei Jahren lebt die Familie in der Türkei. Der Anfang dort war für die 16-Jährige nicht leicht.
Melissa steht am Flughafen von Izmir, neben ihr die kleine Schwester und sieben große Koffer, 80 Kilo schwer. Ihre Eltern kann Melissa weit und breit nicht sehen. Das soll jetzt ihre neue Heimat sein?
In den Jahren zuvor ist die 16-jährige nur für die Ferien in die Türkei gekommen. Jetzt soll sie hier leben, zur Schule gehen, Freunde finden.
Wütend ruft Melissa ihre Eltern an. Schließlich wollten die, dass die Töchter zu ihnen nach Izmir umziehen. Nach einigen Minuten fährt endlich das kleine Auto der Familie vor. Vielleicht ist Pünktlichkeit das Erste, wovon sich Melissa in der Türkei verabschieden muss.
Weil auch die Oma und der Onkel zum Flughafen mitgekommen sind, muss Melissa die Koffer während der Fahrt zu ihrem neuen Zuhause auf ihrem Schoß halten. Von der Seite kneift ihr die Oma in die Backe und meint: „Groß bist du geworden.“ Melissa zwingt sich zu einem Lächeln. Doch eigentlich ist sie nur wütend und traurig.
Keine zwei Wochen ist es her, da hat Melissa erfahren, dass sie von Berlin, der Stadt, in der sie geboren wurde und aufgewachsen ist, in die Türkei umziehen muss. Den Gedanken, wegzugehen, hatten ihre Eltern schon seit zehn Jahren. Sie mögen Deutschland nicht wirklich, fühlen sich nicht wohl.
„Ihr könnt gehen, aber ich bleibe“
Dann, im Herbst 2011, fahren die Eltern nach Izmir. Doch irgendwie hofft Melissa immer noch, dass sie wieder zurück nach Berlin kommen. Bis eines Tages die Mutter anruft: „Ich habe Flugtickets gebucht, am 18. Oktober fliegt ihr nach Izmir!“ Ein Schock für die Neuntklässlerin. Melissa ist dagegen, will nicht zurückkehren: „Ihr könnt gehen, aber ich bleibe“, entgegnet sie. Das junge Mädchen hat Angst davor, keine Freunde zu finden.
Das ist am Anfang in der Türkei tatsächlich schwierig, denn Melissa kann erst mal nicht zur Schule gehen. Sie hat nur einen deutschen Pass, keinen türkischen. Während ihre kleine Schwester schon zur Grundschule darf, sitzt die 16-Jährige alleine zu Hause, weit weg von ihren Freunden und ist verzweifelt. Zweieinhalb Monate vergehen, bis alle Formalitäten geklärt sind.

„In den ersten Wochen bin ich jeden Tag weinend von der Schule nach Hause gekommen“, erzählt Melissa heute. Sie kommt in eine sogenannte Deutschklasse. Das bedeutet, dass die erste Fremdsprache der Schüler Deutsch ist. Alle anderen Fächer sind auf Türkisch. Melissa spricht die Sprache zwar, aber Fachbegriffe oder ein großer Wortschatz fehlen ihr: „Man hat gemerkt, dass ich aus Deutschland komme.“ Weil sie anfangs so lange gefehlt hat, hat sie viel Stoff verpasst. Die Schule fällt dem Mädchen viel schwerer als in Deutschland. „Hier müssen wir zum Beispiel das komplette Periodensystem auswendig lernen.“ In Berlin durfte sie die Tabelle in eine Klausur mitbringen. Zum Glück geht ihr Nachbar aus dem neunten Stock in die Parallelklasse und hilft ihr, zurechtzukommen.
Viele Dinge sind anders hier
Immer noch ist Melissa wütend auf ihre Eltern. „Was habt ihr aus meinem Leben gemacht, ich war so glücklich in Berlin“, wirft sie ihnen entgegen. Es dauert lange, bis Melissa sich mit ihrer neuen Heimat arrangiert. So lange, bis sie in den Sommerferien wieder nach Berlin zurückfährt. Auf einmal fallen ihr die Unterschiede auf. Wie kalt das Wetter ist. Wie unfreundlich die Menschen sind. Da fängt Melissa an, die Türkei zu mögen.
Viele Dinge sind anders hier, manche besser, manche schlechter als in Deutschland. Grüppchen in der Klasse, wie in Berlin, gibt es an ihrer Schule in Izmir nicht. Alle verstehen sich, kommen miteinander aus. Nur die Mädchen in ihrer neuen Klasse, merkt Melissa schnell, sind manchmal ein bisschen unfair: Sie lässt sie in Deutsch abschreiben, aber bekommt keine Hilfe von ihnen im Türkischunterricht.
„Meine Heimat ist die Türkei!“
Auch manche Lehrer haben Vorurteile, weil Melissa aus Deutschland kommt. Wenn sie mit ihren Freundinnen, die auch Rückkehrerkinder sind, Deutsch in der Pause spricht, werden die Lehrer böse. Melissa ist zwischen den Stühlen: In Deutschland ist sie die Türkin, in der Türkei die Deutsche. Der Konflikt hat das Mädchen selbstbewusster gemacht.
Melissas Mutter ist Italienerin, der Vater Türke. Zu Hause spricht die Familie Deutsch, weil sie es nicht verlernen wollen. Wo ist in diesem Kulturdurcheinander Melissas Heimat? „Die Türkei“, sagt sie entschlossen. Deutschland vermisst sie zwar, aber leben möchte sie dort heute nicht mehr. „Gerade hätte ich sogar richtig Bock auf einen türkischen Pass!
“Heute ist Melissa nicht mehr böse auf ihre Eltern, dass sie sie gezwungen haben, umzuziehen. Sie mag die Türkei, will in Istanbul studieren. Gerade hat sie nur noch eine Sorge: Mathematik. Aber das ist wohl ein internationales Problem.
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